Biografie von Klaus Mann: Hört mit dem Söhnchen auf! (2024)

Klaus Mann hätte endlich eine Biografie verdient, in der nicht sein Vater der Chef ist. Thomas Medicus hat diese Chance verpasst.

Eine Rezension von Volker Weidermann

Aus der ZEIT Nr.18/2024

Erschienen in DIE ZEIT Nr.18/2024

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Wie soll man das machen, die Biografie eines Menschen schreiben, der über sich selbst und sein Zeitalter eine der schönsten Autobiografien der Welt geschrieben hat? Der Wendepunkt, dessen deutsche Fassung Klaus Mann erst kurz vor seinem Tode 1949 fertiggestellt hat, ist für die Geistesgeschichte der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein unverrückbarer Markstein und ein mitreißendes Buch: Kampfbericht von einem, der die literarischen, erotischen und militärischen Auseinandersetzungen jener Zeit an vorderster Front mitgekämpft hat.

Dem Biografen von heute hilft immerhin, dass Klaus Mann im Wendepunkt, wie auch schon in seiner ersten Autobiografie Kind dieser Zeit auch viel idyllisiert, gedichtet und zurechtgebogen hat. Vor allem das Verhältnis zu seinem Vater Thomas erscheint im Scheinwerferlicht der Liebe, das in Wahrheit viel zu selten auf die beiden fiel. Sein Biograf, der Journalist Thomas Medicus, der auch die Biografien von Melitta von Stauffenberg und Heinrich und Götz George geschrieben hat, muss also in seinem neuen Buch einiges entmystifizieren. Er ist damit jedoch nicht der Erste. Es gibt bereits gute, verdienstvolle Bücher von Nicole Schaenzler und vor allem von Uwe Naumann, der als Lektor bei Rowohlt das Werk Klaus Manns edierte und mit Nachworten versah, die bis heute das Bild Klaus Manns in Deutschland prägen. Eine Lebensbeschreibung von heute müsste idealerweise beides vereinen: den Schwung der Autobiografien und die Faktentreue der Biografen.

Klaus Mann war 18 Jahre alt, als er 1925 die öffentliche Bühne betrat. Sein Vater Thomas hatte alles dafür getan, ihm die ersten Auftritte so schwer wie möglich zu machen, und ihn in jenem Sommer in seiner Novelle Unordnung und frühes Leid in der Figur des für das Publikum leicht als Klaus zu dechiffrierenden Luftbeutels "Bert" lächerlich gemacht: "Mein armer Bert", beschreibt der Novellen-Vater Cornelius ihn, "der nichts weiß und nichts kann und nur daran denkt, den Hanswursten zu spielen, obgleich er gewiss nicht einmal dazu Talent hat!" Klaus Mann schreibt entsetzt an seine Schwester Erika vom "Novellenverbrechen" seines Vaters. Es ist wohl für jeden nachvollziehbar, wie entsetzlich es sein muss, im Werk des bewunderten Vaters als peinlicher Taugenichts beschrieben zu werden. Um wie viel mehr aber noch für einen Sohn, der gerade im Begriff steht, selbst ins Rampenlicht zu treten. Und dann noch mit einem Theaterstück, in dem hom*osexuelle Liebe als natürliche Selbstverständlichkeit beschrieben wird. Da könnte man schon etwas väterlichen Schutz gebrauchen. Da der echte Vater diesen in seiner Erzählung nicht bot, würde man ihn sich vom Biografen wünschen. Doch Medicus schreibt über Thomas Manns Novelle: "Geschildert wird all das mit großer Liebenswürdigkeit, keine Figur wird denunziert, selbst wenn Sarkasmus im Spiel ist."

Das ist einfach schade. Gerade Klaus Mann hätte eine fairere Lebensbeschreibung verdient. Er ist eigentlich immer – während seines Lebens und danach – das Söhnchen geblieben. Der seine Bücher immer etwas zu schnell schrieb, zu pathetisch war, zu schwärmerisch, zu empfindlich. "Klaus Mann inszenierte unverhohlen narzisstische und exhibitionistische Auftritte in unverhohlener Künstlichkeit", schreibt Medicus. Und wir sagen: Aber ja!

Dazu die offene hom*osexualität, die ganze stolze, queere Persönlichkeit, das Hadern mit dem, was als "männlich" zu gelten hat. Diese befreiende Wirkung, die sein Auftreten, seine Schauspiele, sein Schreiben hatten und bis heute haben. Ja, all das kommt bei Medicus vor. Aber doch immer aus der leicht peinlich berührten Vater-Perspektive. Auch in seinen literarischen Urteilen ist Medicus stets zurückhaltend bis kritisch. Selbst über das literarisch-moralisch-zeitlose Meisterwerk Mephisto schreibt er, am Schluss "schwoll das antifaschistische Pathos allerdings allzu meinungsstark-manichäisch an". Echt jetzt? Von mir aus gerne!

Klaus Mann hat sich vom zarten, queeren, Benn verehrenden Ästheten zu einem kämpferischen Antifaschisten gewandelt. Politisch, kompromisslos, später sogar zum Soldaten. Und als seine poetische Lebensliebe Gottfried Benn sich für die Nazis entschieden hatte, nahm Mann, gegen alle Leidenschaften, öffentlich Abschied von ihm. Und als er noch im Jahr der Machtübernahme im Exil in seiner Zeitschrift Die Sammlung alle guten Kräfte im Kampf gegen den Faschismus vereinen wollte und sein Vater – entsetzt vom "politischen Charakter der Zeitschrift" (ja was denn sonst, 1933?) – öffentlich seine Mitarbeit aufkündigte, um den deutschen Markt für seine Bücher nicht zu verlieren, da kommentiert Medicus das ganz im Sinne Thomas Manns: "Dass alles eine Übergangsphase zum Schlechten war, wusste man nicht." Ach? Man wusste es nicht? Nun – viele, sehr viele Autoren wussten es. Darunter der Gegenstand seiner Biografie. Aber Medicus wehrt ab: "Immerhin lebten von den Verkaufserfolgen des Vaters weiterhin auch Erika und Klaus." Dass diese aber ja offensichtlich im Jahr 1933 die politische Eindeutigkeit dem finanziellen Komfort vorzogen, übergeht der Biograf.

Warum man ein so aufwendig recherchiertes Buch schreibt, um dann den Gegenstand der Biografie so viel kleiner zu machen, als er war, ist ein Rätsel.

Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben. Rowohlt Berlin; 544 Seiten, 28,– €

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